Fast genau ein Jahr nach dem ersten Versuch am Dent du Geant wollte dieselbe Truppe wieder zum Riesenzahn aufbrechen. Wie im letzten Jahr hätten wir ein internationales Fussball-Finale, diesmal den Confed-Cup, auf der Turiner Hütte geschaut und wie auch im letzten Jahr war der Wetterbericht etwas wackelig mit Wetterwechsel, Wind und Fragezeichen. Anders als im letzten Jahr entschieden wir uns dieses Mal nicht 500 Kilometer und 2000 Höhenmeter anzureisen, um kurz vor dem Gipfel herauszufinden, dass der Wind doch zu stark ist. Dieses Mal wählten wir ein dem Wetter angepasstes Ziel: Das Matterhorn. Zwar nicht das Zermatter, sondern das Ehrwalder. Genau genommen heißt der Berg auch nicht Matterhorn, sondern Sonnenspitze. Man nennt ihn halt Matterhorn, weil er ähnlich schön geformt ist. Und die Matterhorn-Erfahrenen, die erinnerte er auch bei der Besteigung ein wenig an das Original, aber dazu später mehr. Über den Südgrat wollten wir hinauf, also los.
Am Dienstagfrüh um sechs trafen sich dreiviertel der ursprünglichen Gruppe und fuhren rasch nach Biberwier. Im morgendlichen Schatten stiegen wir in knapp eineinhalb Stunden zur Biberwierer Scharte auf. Dort begrüsste uns nach dem schattigen Aufstieg die Sonne und wir satteln zügig die Gurte. Die beiden Herren in der Gruppe liessen der Dame den Vortritt im Vorstieg. Die Unternehmung am Grat entlang begann mit einer scharfkantigen ersten Seillänge im unteren fünften Grad, auf die erst einmal wieder einige hundert Meter grasiges Gehgelände folgten. In ähnlichem Wechselspiel ging es die laut Topo 18 Seillängen bis zum Gipfel weiter. Wir selbst hörten irgendwann auf zu zählen. Schotterige und grasige Passagen wechselten sich mit steilen, kompakten Aufschwüngen im vierten Grad ab und sorgten für eine abwechslungsreiche Kletterei. Immer wieder galt es sicherungstechnisch zu improvisieren – wir hatten Spass dabei. Nach rund dreieinhalb Stunden standen wir auf dem Gipfel des Ehrwalder Matterhorns – Entschuldigung – der Sonnenspitze und freuten uns über traumhafte Aussichten vom Lechtal bis zum Karwendel und hinunter zur Coburger Hütte. Einziger Wehmutstropfen war, dass die Kamera, die diesen Traumtag einfangen sollte, im Auto lag. So blieb nur das Smartphone mit seiner unangemessen kleinen Auflösung.
Durch steile freie Passagen im zweiten Grad stiegen wir schließlich über den südlichen Normalweg ab. Dabei kamen bei den Weitgereisten unter uns plötzlich Erinnerungen an das Gelände am Hörnligrat auf. Es soll da ähnlich sein, meinten sie unisono. Zurück an der Scharte rasteten wir bei immer noch strahlendem Sonnenschein und sausten schließlich vorbei an den massigen Mieminger Wänden hinab zum Auto. Mit einer kleinen Abkühlung im Weissensee löschten wir noch die rund 1500 Höhenmeter aus unseren Beinen. Erfrischt beschlossen wir unsere kernige Ostalpen-Tour, die zumindest in den Erinnerungen und im Namen einen Hauch von Westalpen versprühte.
Vielleicht schauen wir ja nächstes Jahr das WM-Finale auf der Turiner Hütte, und vielleicht stehen wir nächstes Jahr um diese Zeit sogar auf dem Gipfel des Dent de Geant.
Birgit, Michael und Harry