Dent du Géant

Gipfelglück? Abgeblasen!

Nicht schlecht waren die Wetteraussichten für die geplante 4000er-Sektionstour auf den Dent de Géant im Mont Blanc-Gebiet vom 01.bis 03. Juli. Für diesen bisher so lausigen Bergsommer waren sie sogar ganz gut.
Guter Dinge machten wir uns also am Freitag nicht allzu früh in Richtung Courmayeur auf, um vom Nachbarort Entrèves aus mit einer der letzten Bahnen zur Turiner Hütte, auf 3375 Metern hoch über dem Aosta-Tal gelegen, zu gelangen. Nach einigermaßen zügiger Anreise erreichten wir die letzte Bahn und hatten ruckzuck die rund 2000 Höhenmeter vom Tal zur Hütte überwunden. Skyway heißt der neue Lift und ist eine recht futuristische Angelegenheit. Wer weiß, vielleicht verirrt sich ja mal ein James Bond nach dem Skyfall in die Skyway, eine sich drehende 360°-Gondel mit anschließendem Aufzug und Tunnel, der zur Hütte wieder ein paar Höhenmeter nach unten bringt. Wir fühlten uns während der Fahrt zumindest fast wie in einem Bond-Streifen.

Die Turiner Hütte ist neuerdings ebenfalls sehr einladend. Im letzten Jahr wurde sie renoviert. Vor dem Fenster dampften der Mont Blanc und seine Nadeln im diffusen Abendlicht aus Sonne und Wolken und so war es ein sehr komfortables Ankommen. Dennoch wollten wir es uns nicht allzu gemütlich machen und planten gleich für den nächsten Tag den Gipfelaufstieg. Morgens um 3:30 Uhr sollte es losgehen, da für den Nachmittag eine Kaltfront angekündigt war. Als wir mitten in der Nacht aus dem Fenster schauten, waren wir sehr überrascht im Stirnlampenlicht Schneekriseln und Regen zu sehen. Die Kaltfront schickte schon ihre Vorboten. Mehr noch als überrascht, waren wir enttäuscht, denn die Gipfelpläne waren für diesen Tag gestrichen. Am Dent de Géant muss auf knapp 4000 Metern bis in den vierten Grad frei geklettert werden und dafür wollten wir wenigstens trockenen Fels haben.

Wir legten uns nochmal aufs Ohr und starteten gegen fünf Uhr zu einer kleineren Akklimatisationstour auf die Aguille d‘Entrèves. Eine kleine Gratkletterei auf 3600 Metern nach einer nicht allzu langen Gletscherüberquerung sollte doch auch vor der Kaltfront noch möglich sein. Wir kamen gut voran, nahmen im Vorbeigehen noch die Aguille de Toula mit 3528 Metern mit und standen gegen acht Uhr auf dem 3604 Meter hohen Gipfel. Allerdings standen wir nur recht kurz, denn nicht unweit hatten schon die Donner gebellt und die wenigen Bohrhaken am Grat surrten schon von der dicken Luft. Im Graupel hasteten wir herunter vom Grat ins Gletscherbecken und waren zum zweiten Frühstück um neun schon wieder auf der gemütlichen Hütte. Dort verbrachten wir den Tag bei viel Flüssigkeit und gutem Essen und sahen zu, wie sich die Hütte zunehmend füllte. Der Grund dafür war nicht das anstehende Viertelfinale Deutschland gegen Italien, sondern die guten Wetteraussichten für den Sonntag. Da gratis WLAN vorhanden war, checkten wir verschiedene Wetterberichte im Internet und waren ebenfalls guter Dinge. Einzig der angekündigte Wind machte uns ein wenig Sorgen.

Wiederum für 3:30 setzten wir den Start an, was umso härter war, da wir ja bis kurz vor zwölf beim Elfmeterschießen mitfiebern mussten.

In einer strahlend klaren Nacht mit einem messerscharf gezeichneten Mont Blanc im Rücken zogen wir pünktlich und ganz allein los. Nein, nicht ganz allein, mit uns zog, wie angekündigt, eine steife Brise. Wir gingen dennoch über den Gletscher, durchs Colloir und Blockgelände zum sogenannten Frühstücksplatz auf knapp 3900 Metern. Dieser markiert den Einstieg zur ausgesetzten Kletterei durch die Südwestwand des 4013 Meter hohen Riesenzahns. Der Wind wehte mehr als rau und unsere letzte Hoffnung war die Sonne, die ihn vielleicht abmildern würde. Die Sonne blitze bald von Osten hervor, aber leider wehte der Wind dennoch weiter. Kalt und viel zu stark, um in dieser Höhe zu klettern. Nach längerem Harren und Hoffen in der Kuhle am Frühstücksplatz kamen ein paar Bergführer mit Kundschaft und zogen ohne große Umschweife an uns vorbei in die Wand. Für 1000 Euro muss der Gipfel schon drin sein. Als Non-Profit-Unternehmung ohne Kostendruck wählten wir schweren Herzens die Umkehr, nicht absolut sicher über die Richtigkeit der Entscheidung. Als aber auch im Abstieg der kalte Zug nicht nachließ und wir zurück auf dem Gletscher noch keine Sonne in der Wand sahen, sondern vielmehr Schneefahnen über dem gegenüberliegenden Mont Blanc, schien uns die Entscheidung zwar schmerzlich, aber berechtigt. Traurig über den fehlenden Gipfelerfolg, aber auch ein wenig entschädigt durch das traumhafte Panorama mit Mont Blanc, Matterhorn, Gran Paradiso und großen Unbekannten im Südwesten, fuhren wir recht zügig mit der Bahn zurück ins Tal und an einem strahlend heißen Sonntag zurück nach Hause.

Der Sommer hat noch Luft nach oben und wahrscheinlich nicht nur bei uns vieren hat er noch etwas gut zu machen. Dennoch war die Tour eine wichtige Übung mehr in einer manchmal vernachlässigten Kunst des Bergsteigens: Dem Umkehren.

Bericht: Michael Brugger
Fotos: Tobias Bailer

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